Augen

Newsletter 2/10

Inhalt

1. Editorial
2. Grundsteinlegung für Gedenkort zur "Kindereuthanasie" in Leipzig
3. Güstrower Gespräche zur Psychiatrie in der DDR
4. "kunst : verrueckt" - Festival und Blog
5. Neuerscheinungen zur Psychiatriegeschichte
6. Veranstaltungshinweise
7. Ihre Unterstützung
8. Abonnement und Kontakt
9. Impressum

1. Editorial

Liebe Freunde des Sächsischen Psychiatriemuseums,
wenn Sie uns noch im Interim besuchen möchten, sollten Sie sich nicht mehr allzu viel Zeit lassen. Der Baufortschritt macht eine Rückkehr in die Mainzer Straße Anfang 2011 wahrscheinlich. Das zehnte Jahr seines Bestehens wird das Sächsische Psychiatriemuseum also wieder im angestammten Domizil begehen können.
Noch in diesem Jahr wird der Gedenkort für die Opfer der "Kindereuthanasie"-Verbrechen in Leipzig eingeweiht werden, dessen Grundstein im Juni gelegt wurde. Weitere Ankündigungen psychiatriegeschichtlicher Veranstaltungen finden Sie in diesem Newsletter ebenso, wie eine relativ umfangreiche Empfehlungsliste mit Neuerscheinungen zu diesem Thema.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!

Ihr Thomas R. Müller
Leiter Sächsisches Psychiatriemuseum

2. Grundsteinlegung für Gedenkort zur "Kindereuthanasie" in Leipzig

Im Leipziger Friedenspark ist Ende Juni der Grundstein für einen Gedenkort für die Opfer der nationalsozialistischen "Kindereuthanasie"-Verbrechen gelegt worden. An der Leipziger Universitätskinderklinik unter Prof. Catel war 1939 ein behindertes Kind getötet worden war. Mit dieser Fall begann die Ermordung von als "lebensunwert" eingestuften Kindern im Rahmen der NS-"Euthanasie". In Leipzig bestanden bis 1945 zwei sog. Kinderfachabteilungen, in denen mehr als 600 Kinder getötet wurden. Etwa 100 von ihnen wurden auf dem Neuen Johannisfriedhof begraben, wo sich heute der Friedenspark befindet.
Initiator des Gedenkortes ist der Psychiatriekoordinator der Stadt Leipzig, Thomas Seyde, der seit Jahren zur "Kindereuthanasie" in Leipzig forscht und die Stadt Leipzig für sein Projekt eines landschaftsgärtnerisch gestalteten Terrains gewinnen konnte, das durch seine Begehbarkeit ein aktives und sinnliches Gedenken ermöglichen wird.
Mit Unterstützung zahlreicher Sponsoren soll der Gedenkort im Oktober 2010 eröffnet werden.

3. Güstrower Gespräche zur Psychiatrie in der DDR

Die 4. Güstrower Herbstgespräche am 9. Oktober 2010 widmen sich aus Anlass des 20. Jahrestags der Wiedervereinigung dem Thema "Psychiatrie in der DDR". In den Vorträgen, Workshops und einer Podiumsdiskussion geht es u.a. um folgende Fragen: Gab es eine eigenständige DDR-Psychiatrie? Hat es in der DDR eine Psychiatrie-Reform gegeben? Wurde die DDR-Psychiatrie politisch missbraucht? Wie haben die Patienten die Psychiatrie in der DDR erlebt?
Als Referenten und Diskutanten sind Michael von Cranach, Ekkehardt Kumbier, Beate Mitzscherlich, Thomas R. Müller, Sonja Süß, Ulrich Trenckmann, Klaus Weise, Dyrk Zedlick u.a. eingeladen.
Organisiert wird die Tagung, die von 9 bis 17 Uhr im Schloss Güstrow stattfinden wird, von Stefan G. Schröder, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am KMG Klinikum Güstrow.
Information/Anmeldung: Monika Kietzmann: Tel: 03843 342301; E-Mail: s.schroeder@kmg.ag

Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl ist eine baldige Anmeldung unbedingt zu empfehlen.


Bereits am 24. September trifft sich der Arbeitskreis Psychiatrie in der DDR in Rostock. Interessenten können das Programm des Treffens über die Mailadresse des Newsletters beziehen.

4. "kunst : verrueckt" - Festival und Blog

Das 16. Festival "kunst : verrueckt" findet vom 25. Oktober bis 3. November 2010 in Leipzig statt. Das Programm wird in Kürze auf der Homepage www.kunst-ist-verrueckt.de erscheinen.
Neu ist der Blog "kunst_verrueckt", der sich mit den Schnittstellen zwischen Kunst und Psychiatrie beschäftigen wird. Der Blog soll ein interaktives Forum für Informationen und Ankündigungen, Rezensionen und Beiträge zu diesem Thema bieten.
Die Blogadresse ist: www.kunst-ist-verrueckt.de/blog

5. Neuerscheinungen zur Psychiatriegeschichte

Christina Vanja: Psychiatriemuseum Haina, Petersberg 2009

Eine Überblicksdarstellung zur Entwicklung der psychiatrischen Versorgung in Haina bietet die von Christina Vanja verfasste Broschüre. Der Autorin, die als Leiterin des Fachbereichs "Archiv, Gedenkstätten, Historische Sammlungen" beim LWV Hessen zu den profiliertesten deutschen PsychiatriehistorikerInnen gehört, skizziert die jahrhundertelange Geschichte des Zisterzienserklosters Haina, das im 16. Jahrhundert als Hohes Hospital der Versorgung der hilfebedürftigen Landbevölkerung diente und sich seit dem 18. Jahrhundert zunehmend der Betreuung psychisch kranker Menschen widmete. Dabei wird die chronologische Beschreibung der Organisation des Anstaltsbetriebs in Haina, der hier verfolgten Krankheits- und Therapiekonzepte und der Situation der Patienten bzw. Pfleglinge pointiert in den Kontext der deutschen und europäischen Psychiatriegeschichte gestellt.
Die zweisprachige (deutsch und englisch) und reich bebilderte Broschüre, die für 5 Euro im Buchhandel erhältlich ist, macht neugierig auf den Besuch des Psychiatriemuseums Haina. Das Museum, inmitten der alten Klosteranlage gelegen, verfügt über eine Reihe eindrucksvoller Sachzeugen der Psychiatriegeschichte und schlägt in seiner Ausstellung einen Bogen von den Anfängen der Versorgung psychisch Kranker bis in die Gegenwart.

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Boris Böhm: Wollen wir leben, Das Leben! Elfriede Lohse-Wächtler 1899-1940. Eine Biografie in Bildern, Dresden 2009

Das Schicksal der Malerin Elfriede Lohse-Wächtler, die 1899 in Dresden geboren und 1940 in Pirna-Sonnenstein ermordet wurde, hat in den letzten Jahren eine große Aufmerksamkeit erfahren. Ihre Kunst wurde wiederentdeckt und in zahlreichen Ausstellungen gezeigt. Dabei sind eine Reihe von Publikationen erschienen, die sich mit dem künstlerischen Schaffen und der Lebensgeschichte Lohse-Wächtlers beschäftigen. Viel zu dieser späten Anerkennung hat der Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein Dr. Boris Böhm beigetragen. Aus Anlass des 110. Geburtstages der Künstlerin hat Böhm eine "Biografie in Bildern" im Dresdner Sandstein Verlag herausgebracht. Dafür konnte er den Nachlass Lohse-Wächtlers in Hamburg sichten, der u.a. 300 Fotografien enthält. Diese teilweise bisher unbekannten Aufnahmen in Verbindung mit den oft sehr persönlichen künstlerischen Arbeiten, ergänzt durch Zeitdokumente und die kenntnisreichen biografischen und historischen Erläuterungen des Autors führen die Tragik dieses Lebens mit Intensität vor Augen.

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Daniela Martin: "...die Blumen haben fein geschmeckt". Das Leben meiner Urgroßmutter Anna L. (1893-1940), Dresden 2010

13 720 psychisch Kranke und geistig behinderte Menschen wurden zwischen Juni 1940 und August 1941 in Pirna-Sonnenstein ermordet. Eines der ersten Opfer war Anna L. Sie kam am 5. Juli 1940 mit einem Transport aus Arnsdorf. Arnsdorf war die sechste Station ihrer mehr als zwanzigjährigen Odyssee kreuz und quer durch sächsische Anstalten. Ein Schicksal wie viele andere. Und doch einzigartig.
Recherchiert und aufgeschrieben hat diese Lebensgeschichte ihre Urenkelin Daniela Martin. Eher durch Zufall erfährt die in Köln lebende Journalistin von dem sorgsam gehüteten Familiengeheimnis. Zunächst stößt sie bei ihren Nachfragen auf Abwehr, doch als der Großonkel ihr schließlich eine dicke Korrespondenzmappe übergibt, versteht die Autorin dies als Auftrag, das Leben ihrer Urgroßmutter zu rekonstruieren und ihr einen würdigen Platz in der Familiengeschichte zu geben. Dieser Ordner ist ein seltenes Dokument. Denn neben dem Briefwechsel der Familie mit Anstalten und Behörden enthält die Mappe Briefe, die Anna L. während ihres jahrelangen Anstaltsaufenthalts an ihre Kinder geschrieben hat: An die Tochter Lucie, die sie 1922 bei der zweiten und endgültigen Einweisung in die Psychiatrie als achtjähriges Mädchen vermutlich zum letzten Mal gesehen hat. Und an ihren Sohn Erich, dem lange glaubend gemacht wird, seine Mutter sei bei der Geburt gestorben und der erst 1935 von ihrem Schicksal erfährt. Während Anna L. von den Psychiatern schon längst als hoffnungsloser Fall abgeschrieben ist, scheinbar unerreichbar in ihrer Wahnwelt lebend, strahlen die Briefe an ihre Kinder Herzlichkeit und Empathie aus. Wenig deutet in diesen Zeilen auf die diagnostizierte Schizophrenie hin, wäre da nicht der seltsame Absender, in dem sie sich als Gräfin bezeichnet. Aber wer mag es dieser Frau, die seit Jahren unter sich ständig verschlechternden Verhältnissen in Anstalten verwahrt wird, verdenken, dass sie in eine schöne Traumwelt flüchtet? Anna L`s Krankenakte ist nicht überliefert. Vielleicht würde sie Hinweise geben auf ein verrücktes Verhalten, auf Stimmenhören, auf Aggressionen. Doch wer Krankenakten aus dieser Zeit gelesen hat, der weiß, dass bei Langzeitpatienten die Eintragungen mit der Länge des Aufenthaltes immer seltener werden und sich schließlich zumeist in stereotypen Floskeln verlieren.
Daniela Martin gelingt eine respektvolle und einfühlsame Annäherung an die Lebensgeschichte ihrer Urgroßmutter. Dabei setzt sie sich auch mit der Haltung der Familie auseinander, deren Ambivalenz zwischen Hoffnung und Verbundenheit, aber auch Ohnmacht und Sprachlosigkeit zur Tragik dieses Schicksals dazu gehört. Mit ihrer faktenreichen und anschaulichen Rekonstruktion der Situation in der sächsischen Psychiatrie in den 1920er und 30er Jahren verweist die Autorin zudem auf die Gültigkeit dieses Einzelfalls für ein tausendfaches Unrecht.

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Zur Erinnerung an ein Menschheitsverbrechen. 1. September 2009: Einweihung der Namenstafeln für die Opfer der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein und wissenschaftliches Symposium aus Anlass des Beginns der NS-Krankenmorde vor 70 Jahren, Heft 8/2010 der Reihe: Sonnenstein. Beiträge zur Geschichte des Sonnensteins und der Sächsischen Schweiz, Pirna 2010

Der 70. Jahrestag des Beginns der NS-Krankenmorde bot den Anlass für die Einweihung von Namenstafeln für die Opfer und ein wissenschaftliches Symposium in der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, die in diesem Heft dokumentiert werden.
In den Beiträgen wird zum einen auf die Geschichte der Auseinandersetzung mit den "Euthanasie"-Verbrechen zurück geblickt. In einem bisher unveröffentlichten Manuskript schildert der 2001 verstorbene Kirchenhistoriker Kurt Nowak seinen persönlichen Weg zu seiner in den 70er Jahren erschienenen viel beachteten Dissertation. Boris Böhm rekapituliert die juristische und wissenschaftliche Beschäftigung mit der "Euthanasie" in Sachsen.
Weiterhin werden aktuelle Forschungsprojekte vorgestellt, u.a. zu den jüdischen Opfern in Sachsen und zu in einer Krankenakte entdeckten Fotografien, die von einem Opfer der "Euthanasie" unmittelbar vor ihrer Ermordung gemacht wurden. Auf diese Praxis gibt es bis heute nur wenige Hinweise. Auch die Bauforschung auf dem Gelände der ehemaligen Tötungsanstalt auf dem Sonnenstein ist noch nicht abgeschlossen. Diese und weitere Forschungslücken machen deutlich, dass weiter an der Rekonstruktion des "Euthanasie"-Komplexes gearbeitet werden muss.

6. Veranstaltungshinweis

Kunstfest Weimar

Noch bis zum 12. September 2010 läuft das diesjährige Kunstfest Weimar unter dem Motto "Irrlichter" - nach einem Klavierstück von Franz Liszt. Doch Irrlichter stehen auch für das Abgründige und Irritierende, Irrlichter führen in die Sphäre zwischen Traum und Wirklichkeit. Auf dem Kunstfest dreht sich deshalb vieles um Kunst und Wahn, um verrückte Herrscher, Mondsüchtige und Narren. Die Ausstellung "art/brut: gugging classics.!" (24.8. bis 10.10.) präsentiert die inzwischen fast schon klassischen Künstler aus Gugging, darunter August Walla und Johann Hauser. Ein Konzert mit legendären "Wahnsinnsarien" (10.10.) gehört ebenso zum Programm, wie "Irregehen", eine literarische Nachtwanderung (5.10.) sowie eine Diskussion zum Thema "Überall Wahn... Kunst, Krankheit und Gesellschaft", zu der u.a. der Hirnforscher Wolf Singer und der Künstler Jonathan Meese eingeladen sind.
www.kunstfest-weimar.de

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Gern veröffentlichen wir an dieser Stelle auch Ihre psychiatriegeschichtlichen Veranstaltungen und Termine. Der nächste Newsletter erscheint im Oktober 2010.

7. Ihre Unterstützung

Da unser Projekt über keine dauerhafte Finanzierung verfügt, benötigen wir Ihre Unterstützung. Jede Spende hilft uns und kann durch eine Spendenquittung bestätigt werden.

Spendenkonto:
Konto-Nr.. 3 52 14 02
BLZ: 860 205 00
Bank für Sozialwirtschaft
Stichwort: Psychiatriemuseum

8. Abonnement und Kontakt

Um den Newsletter abzubestellen oder mit uns Kontakt aufzunehmen, schicken Sie uns bitte eine Mail:

7. Impressum

Herausgeber:Sächsisches Psychiatriemuseum
des Vereins Durchblick e.V.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Thomas R. Müller

Redaktionsschluss: 25.08.2010

www.psychiatriemuseum.de
www.durchblick-ev.de
www.kunst-ist-verrueckt.de

© Sächsisches Psychiatriemuseum Mainzer Straße 7  04109 Leipzig

Sächsisches Psychiatriemuseum
Projekt des Durchblick e.V.
Mainzer Str. 7
04109 Leipzig
Tel: 0341/14061413
Fax: 0341/14061419
www.psychiatriemuseum.de

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