Augen

Newsletter 3/16

Inhalt

1. Editorial
2. Jubiläumsschrift
3. Infomaterial für Blinde und Sehbehinderte
4. Buchempfehlungen
5. Termine und Informationen
6. Ihre Unterstützung
7. Abonnement und Kontakt
8. Impressum

1. Editorial

Liebe Freunde des Sächsischen Psychiatriemuseums,
das fünfzehnjährige Gründungsjubiläum des Sächsischen Psychiatriemuseums ist ein guter Anlass für einen Rückblick. In Zahlen ausgedrückt, hatten wir ca. 30.000 Besucher, haben 20 Sonderausstellungen gezeigt und über 100 Stadtführungen veranstaltet. 20 Mitarbeiter waren im Museum beschäftigt, hinzu kamen die Förderer und Freunde, die unsere Arbeit auf vielfältige Weise unterstützt haben.
Den Besuchern konnten wir im Museum und bei Gesprächen mit Mitgliedern des Vereins unsere spezielle Perspektive auf die Psychiatrie und ihre Geschichte vermitteln.
Die Perspektive der Betroffenen ist heute in der Psychiatriegeschichte deutlich präsenter, als zu Anfang dieses Jahrtausends. Auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychiatrie in der DDR ist zu beobachten. Dass unser Museum dazu einen Beitrag geleistet hat, dokumentiert eine kleine Festschrift, die am Ende dieses Jubiläums­jahres erschienen ist.
Natürlich werden wir auch weiter unsere spezielle Sicht auf die Geschichte der Psychiatrie in die Öffentlichkeit bringen. Und ich hoffe, Sie halten uns bei dieser Arbeit die Treue.
Ich wünsche Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Start ins neue Jahr.
Ihr Thomas R. Müller
Sächsisches Psychiatriemuseum

2. Jubiläumsschrift

Aus Anlass des 15jährigen Bestehens des Museums ist eine Jubiläumsschrift mit dem Titel „Dieses Haus ist eine gute Idee“ erschienen, in der die verschiedenen Aspekte unserer Arbeit dargestellt sind. Die bebilderte Dokumentation gibt einen Einblick in die Entwicklung und Umsetzung der Museumskonzeption, berichtet über Sonderausstellungen, Museumsnächte, Stadtführungen und Veranstaltungen. Vervollständigt wird das Heft durch eine Chronik und Bibliographie.
Das Layout lag in den Händen von Gabine Heinze, die von Beginn an den Publikationen des Psychiatriemuseums ein besonderes Gesicht gegeben hat und uns bis heute eine kreative und verlässliche Partnerin ist. Die Finanzierung wurde durch den Förderverein Sächsisches Psychiatriemuseum ermöglicht.

3. Infomaterial für Blinde und Sehbehinderte

Schon im vergangenen Jahr hatten wir über unsere Bemühungen berichtet, die Möglichkeiten des Besuchs des Museums für Blinde und sehbehinderte Menschen zu verbessern. 2015 haben wir mit Förderung durch das Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung aus dem Sonderprogramm „Lieblingsplätze für alle“ des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales einen Audioführer für die Dauerausstellung des Museums und die psychiatriegeschichtliche Stadtführung produziert.  
In diesem Jahr konnten wir aus demselben Förderprogramm die begleitenden Informationsmaterialien erstellen. Dazu gehört ein Reliefplan, mit dem sich die Museumsräumlichkeiten ertasten lassen. Außerdem verfügt das Museum nun über Faltblätter und Begleitmaterialien in Großdruck und in Braille-Schrift. 
Leider ist der Zugang nicht behindertengerecht, weil das Museum in der 1. Etage der Mainzer Straße 7 nur über eine Treppe zu erreichen ist.

4. Buchempfehlungen

B Dörthe Schimke
Fürsorge und Strafe.
Das Georgenhospital zu Leipzig 1671-1871
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2016
ISBN 978-3-96023-035-9

Der Geschichte des Leipziger Georgenhauses von 1671 bis 1871 widmet sich eine im Leipziger Universitätsverlag erschienene Monographie von Dörthe Schimke. Eine solche Studie ist eine Herausforderung, denn zu dieser Einrichtung gibt es in verschiedenen Archiven eine umfangreiche Aktenüberlieferung zum Betrieb des Hauses, seinem Personal, den Insassen sowie Korrespondenzen mit Behörden und Institutionen. Die Komplexität des Themas spiegelt sich zudem in den vielfältigen Aufgaben des Georgenhauses wider. Die hier vorliegende, knapp 200 Seiten umfassende, Publikation kann daher lediglich eine Überblickdarstellung liefern.
Die Multifunktionalität, die das Georgenhaus  als „primäres Instrument der Leipziger Armenfürsorge in der Frühneuzeit“ zu erfüllen hatte, ist im Titel der Publikation durch die Pole der Fürsorge und der Strafe angelegt. Nach der Einführung u.a. zum Forschungsstand und der Methodik schildert die Autorin die gesellschaftspolitischen und sozioökonomischen Hintergründe für das sich verschärfende Armutsproblem in Leipzig und die Bewältigungsstrategien der Stadt, die letztlich in der Einrichtung der geschlossenen Armenfürsorge mündeten. Nach dem Vorbild englischer „Workhouses“, des Pariser „hospital general“ und ähnlicher Einrichtungen in Norddeutschland stand bei der Neugründung des Georgenhauses, das aus dem 1212 entstandenen Hospital St. Georg hervorgegangen war, der Gedanke der Bestrafung und Besserung durch Arbeit im Mittelpunkt. Diese Funktion kollidierte mit der unter dem Begriff der Fürsorge gefassten Aufgabe der Versorgung der Waisen, Armen und Kranken.
Leider kann an dieser Stelle beispielsweise nicht auf das recht ausführliche Kapitel zum Leipziger Schulwesen im 18. Jahrhundert und der speziellen Rolle der Waisenhausschule eingegangen werden.
Für die Psychiatriegeschichte besonders relevant sind die Forschungser­gebnisse zur Betreuung psychisch erkrankter Menschen. Auf der Basis der ausgewerteten Insassenlisten liefert das Buch neue Fakten zur Zahl und Zusammensetzung der im Georgenhaus untergebrachten psychisch Erkrankten. Dafür hat Schimke die äußerst heterogene Insassenschaft nach dem Zweck der Unterbringung drei Gruppen zugeordnet: Waisen, Versorgte und Gefangene.
Dass es sich, wie von der Autorin behauptet (S. 77), bei der Beherbergung von Menschen mit psychischen Erkrankungen um eine neue Aufgabe des Georgenhauses handelte, widerspricht früheren Untersuchungen, wie sie beispielsweise im 1. Band der Geschichte des Hospitals St. Georg (1. Band) von Carly Seyfarth zu finden sind. Seyfarth stellt fest, dass sich Geisteskranke zu allen Zeiten unter den Kranken des Georgenhospitals, der Vorgängereinrichtung des Georgenhauses, befunden hätten, und er belegt diese Aussage mit zahlreichen Quellenzitaten.
Anhand der ausgewerteten Aufnahmeverzeichnisse lässt sich für das 18. Jahrhundert bei einer Belegung zwischen rund 150 (1715) und mehr als 400 Personen (1798) der Anteil der Vorsorgten auf 31%, im 19. Jahrhundert bei einer insgesamt höheren Insassenzahl auf ca. 34% quantifizieren.  Unter den Versorgten waren die „Melancholischen“ die weitaus größte Gruppe. Weitere Einlieferungsgründe wie „Wahnsinn“, „zerrütteter Gemütszustand“, „Blödsinn“ oder „Verstandesverwirrung“ verweisen darauf, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen in der deutlichen Mehrzahl gewesen sind.
Für die untersuchte Periode seit 1671 bietet das Buch weitere interessante Fakten. So waren unter den Versorgten mehr Männer (ca. 62 %) und relativ wenige Kostgänger, d.h. Selbstzahler (5-10%). Die Versorgten kamen aus allen sozialen Schichten, jedoch überwogen Menschen aus den unteren Schichten. Frauen und Männer wurden getrennt untergebracht und für stark Melancholische gab es separate Kammern. Weiter ist in diesem Kapitel zu erfahren, dass die Versorgten den Tag mit Beten, Singen und Gottesdienst zubringen sollten, dass sie aber auch zu einer ihrem Zustand gemäßen Arbeit angehalten wurden.
Diese Informationen sind wertvoll für die Frage der Behandlung von psychisch erkrankten Menschen in Leipzig im 18. und 19. Jahrhundert. Allerdings ist zu bemängeln, dass die aktuelle Forschungsliteratur zur fast zwei Jahrzehnte (1814 bis 1833) währenden medizinisch-psychiatrischen Tätigkeit von Johann Christian August Heinroth als Hausarzt am Georgenhaus (Sebastian Schmideler und Holger Steinberg) nicht berücksichtigt wurde.
Das Buch eignet sich gut für einen Einstieg in die komplexe Geschichte des Leipziger Georgenhauses, wirft jedoch viele neue Fragen auf, die weiter untersucht werden müssen. 
Thomas R. Müller



Amalie Skram
Professor Hieronimus
Aus dem Norwegischen von Christel Hildebrandt
Mit einem Nachwort von Gabriele Haefs
Guggolz Verlag, Berlin 2016
461 Seiten, 24 €
ISBN 978-3-945370-07-0

Mit dem Roman „Professor Hieronimus“ von Amalie Skram ist dem Berlin Guggolz-Verlag eine psychiatriegeschichtlich lesenswerte Entdeckung gelungen. Denn das 1895 erstmals in zwei Büchern erschienene und in der jetzigen Ausgabe zusammengefügte Werk beschreibt das Innenleben psychiatrischen Kliniken am Ende des 19. Jahrhundert aus der Patientenperspektive. Wie in ihren zahlreichen weiteren, dem Naturalismus zugeordneten Romanen und Novellen, hat Amalie Skam auch hier auf ihre eigene Lebensgeschichte zurückgegriffen.  Sie wurde 1846 in Bergen geboren, ihr Vater verließ die Familie früh und Amalie beugte sich dem Druck der Mutter und heiratete einen um fast zehn Jahre älteren Kapitän. Doch diese, wie auch die zweite Ehe mit dem Schriftsteller Erik Skram endete mit der von ihr betriebenen Scheidung. Die Belastungen dieses für eine Frau zu damaligen Zeiten ungewöhnlichen Schritts waren wahrscheinlich ein Grund für ihren psychischen Zusammenbruch und einen zunächst freiwilligen, später zwangsweisen Aufenthalt in der Psychiatrie.
Wie Amelie Skam ergeht es in „Professor Hieronimus“ auch der Malerin Elsa Kant. Sie gerät in eine kreative Krise, kann den an sie gerichteten Erwartungen als Mutter und Ehefrau nicht gerecht werden und trägt sich mit Todesgedanken. Ihr Ehemann Knut überredet sie zu einem Aufenthalt in der Klinik von Professor Hieronimus, einer anerkannten Kapazität. Doch Elsa Hoffnung, dort Ruhe zu finden, erfüllt sich nicht. Stattdessen fühlt sie sich wie im Gefängnis, in einem rechtsfreien Raum mit verschlossenen Türen und ohne jede Privatsphäre. Bei der nächtlichen Unruhe auf der Station ist an Schlaf nicht zu denken und Elsa ist der Verzweiflung nahe. Ihr Protest gegen diese Unterbringung wird von Hieronimus als Krankheitssymptom ausgelegt. Der Professor erweist sich als ein Zyniker, der von den Patienten und Schwestern zuallererst Unterwerfung fordert und diese mit für Elsa nicht nachvollziehbaren und inakzeptablen Vorschriften und Verboten durchzusetzen versucht. Doch sie ist nicht bereit, sich diesem Regime zu unterwerfen, sie hinterfragt die Entscheidungen des Arztes und kritisiert seine Behandlungsmethoden. Zwar signalisieren ihr die anderen Ärzte, Schwestern und Mitpatientinnen Zuneigung und Solidarität, doch sie alle sind abhängig von Professor Hieronimus, der aufgrund seiner Machtstellung die Deutungs­hoheit über Krankheit und Normalität beansprucht. In diesem System kann jeder Widerstand als Ausdruck der Geisteskrankheit gedeutet werden. Denn, „wer auf diesem Flur liegt, dem glaubt niemand ein Wort.“ Mit einer perfiden Intrige spielt Hieronimus, Elsa und ihren Ehemann Knut gegeneinander aus. Der scheinbar unantastbare Arzt und die ihm ausgelieferte Patientin führen ein Duell mit ungleichen Waffen, das Elsa nun fast wirklich um ihren Verstand zu bringen droht. Schließlich erreicht sie die Verlegung in ein anderes Krankenhaus, wo sie ihre Entlassung durchsetzen kann. Als sie das Kurhaus St. Jørgen nach 26 Tagen verlässt - Hieronimus hatte einen einjährigen Aufenthalt für notwendig erachtet - ist sie nicht bereit, die demütigenden Erfahrungen zu vergessen. 
Vorbild für die Figur des Professor Hieronimus war, wie in dem aufschlussreichen Nachwort von Gabriele Haefs zu erfahren ist, Professor Knud Pontoppidan (1853-1916), den Amelie Skram im St. Hans Hospital in Roskilde erlebt hatte. Doch das Buch ist mehr als eine persönliche Abrechnung mit diesem Mann und der zeitgenössischen Psychiatrie. Die Figur des Professor Hieronimus und sein System stehen auch für die von Amalie Skram erlebte gesellschaftliche Doppelmoral und Unterdrückung, gegen die die Autorin in ihrem gesamten schriftstellerischen Werk angeschrieben hat.    
Thomas Müller

5. Termine und Infos

Ausstellungen:

Märchen, Macken und Madonnen
Mit Arbeiten von
Ausstellung bis 18. Januar 2017
Inklusives Nachbarschaftszentrum Leipzig
Lindenauer Markt 13 (Odermannpassage)
Mi-Sa, 14-18 Uhr



Veranstaltungen:

Kommunismuserbe – Populismus – Extremismus:
Herausforderungen für die historische Aufarbeitung und die Demokratie in Europa“
Geschichtsmesse 2017 der Bundesstiftung Aufarbeitung
19. bis 21.1.2017
Ringberg Hotel, Suhl

www.geschichtsmesse.de



Zur Entwicklung der Sozialen Arbeit in der Gemeindepsychiatrie in Leipzig
Projektpräsentation
18.1.2017 von 14 bis 17 Uhr
Sächsischen Psychiatriemuseum

Studierende für Soziale Arbeit der HS Merseburg haben sich mit der Entwicklung der Sozialen Arbeit in der Gemeindepsychiatrie seit den 1990er Jahren bis heute auseinandergesetzt und präsentieren ihre Ergebnisse.
Der Eintritt ist frei.

6. Ihre Unterstützung

Für die Finanzierung unserer Arbeit sind wir auf Drittmittel angewiesen. Dabei hilft uns jede Spende. Auf Wunsch stellen wir Ihnen gern eine Spendenquittung aus.

Spendenkonto:
Konto-Nr.: 3 52 14 02
IBAN: DE 64860205000003521407

BLZ: 860 205 00
Bank für Sozialwirtschaft
Stichwort: Psychiatriemuseum

8. Abonnement und Kontakt

Um den Newsletter abzubestellen oder mit uns Kontakt aufzunehmen, schicken Sie uns bitte eine Mai an:

9.Impressum

Herausgeber:Sächsisches Psychiatriemuseum
des Vereins Durchblick e.V.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Thomas R. Müller

Redaktionsschluss:20. Dezember 2016

www.psychiatriemuseum.de
www.durchblick-ev.de

© Sächsisches Psychiatriemuseum Mainzer Straße 7  04109 Leipzig

 

 

zum Seitenanfang Dreieck