Augen

Newsletter 4/11

Inhalt

1. Editorial
2. Sonderausstellung Pirna-Sonnenstein
3. Buchempfehlung
4. Termine
5. Ihre Unterstützung
6. Abonnement und Kontakt
7. Impressum

1. Editorial

Liebe Freunde des Sächsischen Psychiatriemuseums,

das Jahr 2011 neigt sich dem Ende zu. Unser Museum hat in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen gefeiert und ist in den neuen alten Räumlichkeiten gut angekommen. Im kommenden Jahr stehen die konzeptionellen Arbeiten an einer neuen Dauerausstellung im Mittelpunkt. Die Rahmenbedingungen dafür sind schwieriger geworden, denn die Stelle von Karen Jakob, die im Rahmen des Kommunal-Kombis drei Jahre im Museum gearbeitet hat, ist ausgelaufen. Frau Jakob hat unseren Bestand digital archiviert und viele Museumsdienste und Führungen bestritten. Ich danke ihr für die Unterstützung und freue mich, dass sie im Rahmen eines Zuverdienstes auch weiterhin für uns tätig sein wird.

Bis zum Jahresende ist noch die Sonderausstellung zur Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein zu sehen. Auch zwischen Weihnachten und Neujahr besteht die Möglichkeit, diese überaus sehenswerte Schau zu besichtigen.

Ich wünsche Ihnen ein erholsames Weihnachtsfest und für das neue Jahr alles Gute! Und ich würde mich über Ihr anhaltendes Interesse an unserem Museum und ein Wiedersehen im Jahr 2012 freuen.

Ihr Thomas R. Müller
Leiter des Sächsischen Psychiatriemuseums

2. Sonderausstellung Pirna-Sonnenstein

Im Rahmen des Festivals „kunst : verrueckt“ wurde in unseren Räumen eine Sonderausstellung zur 200jährigen Geschichte der Heilanstalt Pirna-Sonnenstein eröffnet. Die Ausstellung umfasst 17 Tafeln, die sich mit zahlreichen Aspekten der wechselvollen Geschichte dieser bedeutenden Einrichtung beschäftigen.

Zur Eröffnung sprach Dr. Boris Böhm, der Kurator der Ausstellung und Leiter der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein.
Boris Böhm hat zu diesem Anlass auch eine umfangreiche Anstaltsgeschichte vorgelegt (Siehe Newsletter 24)

Öffnungszeiten des Museums:

2011: 22. und 23. Dezember, 28., 29. und 30. Dezember jeweils von 13 bis 18 Uhr

2012: ab 4. Januar 2012 jeweils Mittwoch bis Sonnabend von 13 bis 18 Uh

3. Buchempfehlung

Holger Böwing: Jakob Leising
Jakob Leising muss vorsichtig sein. Er ist Insasse eines Spezialkinderheims und es ist Nachtruhe. Jakob gilt als schwachsinnig und schwer erziehbar und niemand hier ahnt, dass er schreiben kann. Morgen soll Jakob als Delegierter seines Heims mit dem „Buch der Siege“ zum „Treffen der Besten“ fahren. Doch stattdessen will Jakob in dieser Nacht seine Geschichte aufschreiben und in dem „Schrein der Erfolge“ deponieren.

Jakob ist 1967 in Leipzig geboren. Die ersten vier Lebensjahre muss er wegen eines Hüftleidens hauptsächlich im Bett verbringen. Von der Mutter vernachlässigt, kommt er in eine Nervenklinik. Schon in der Psychiatrie verschafft er sich mit seiner vermeintlichen Geistesschwäche Freiräume. Nicht in der klinikeigenen Schule, sondern bei Gregor, einem Mitpatienten, erlernt er das Lesen. Die Waschküche, wo er mit Gregor zum „Ventildienst“ eingeteilt ist, wird zu seiner Lebensschule. In Gregors „Dampfkino“ beobachtet er die Schwestern beim Duschen und verliebt sich in Katharina, die Frau eines Arztes. Als er aus Liebeskummer zu schweigen beschließt, wird bei ihm ein Mutismus diagnostiziert. Mit dieser Diagnose erschleicht er sich die Nähe zu Katharina und die private Fürsorge der Arztfamilie. Jakob hat das System durchschaut und weiß seine Narrenfreiheit zu nutzen. Doch nach zehn Jahren wird er in ein Spezialkinderheim verlegt, dass sich in einem ehemaligen Schloss in einem Dorf mit dem bezeichnenden Namen Ostdorf befindet. Im Rückblick erscheint ihm die Zeit in der Nervenklinik fast paradiesisch. Denn in Ostdorf herrscht ein regides Erziehungssystem, das nach dem Wenn-du-dann-Prinzip funktioniert. Unter diesen Bedingungen wird das Schweijksche Verhalten für Jakob zu einer Überlebensstrategie, um sich gegenüber seinen Zimmergenossen zu behaupten und den Zynismus und die Brutalität des Personals zu ertragen.

Am Ende seines nächtlichen Schreibmarathons steht Jakobs Erkenntnis, dass er und seine Kameraden sich in einer „Skinner-Box“ befinden. In dem von dem amerikanischen Psychologen Burrhus Frederic Skinner entwickelten Käfig wurden Tiere für ein bestimmtes Verhalten konditioniert. Die Erwachsenen, so Jakob, „betreiben die Box und verbuchen jede unserer widernatürlichen Handlungen als einen Erfolg ihrer Umerziehungsarbeit.“ Was die Damen und Herren Umerzieher jedoch nicht begriffen hätten: Auch sie befinden sich in einer Skinner-Box.

Der Autor Holger Böwing hat seit 1986 als Lehrer an der Hilfsschule eines Spezialkinderheims gearbeitet. In den Erlebnissen, die er seinen Erzähler Jakob Leising episodisch beschreiben lässt, deckt er die Funktionsweise dieser Institution auf. Jakob ist durch seine Maskerade in der Position des scharfsichtigen Beobachters und doch gleichzeitig ein Akteur, der mit seinem Verhalten das System in seiner Banalität und Grausamkeit bloßstellt. Dabei gelingt dem Autor eine pointierte Schilderung, der es nicht an Situationskomik mangelt.

In der DDR konnte der Roman nicht erscheinen. Doch auch nach 1990 scheiterten die Versuche der Veröffentlichung. In das seinerzeit herrschende Schwarz-Weiß-Schema mag das Buch ebenso wenig gepasst haben. Dass sich gute Literatur auch mit fünfundzwanzigjähriger Verspätung durchzusetzen vermag und in der edition m, Weimar & Rostock erscheinen konnte, spricht für dieses Buch.

Holger Böwing: Jakob Leising, edition m, Weimar & Rostock, 2. Aufl., 2010

ISBN 978-3-933713-33-9, EUR 19,80

4. Termine

Veranstaltungen zur Leipziger Buchmesse

Do, 15. März 2012, 19.30 Uhr

Sächsisches Psychiatriemuseum

„Psychiatrie in der DDR“
Buchpräsentation mit Lesung aus Anlass des Erscheinens der 2. Auflage
mit Beate Mitzscherlich, Thomas R. Müller (Herausgeber) und Katja A. Pohl

„Dieser endlich wieder erhältliche Klassiker versammelt Erzählungen von ZeitzeugInnen der DDR-Psychiatrie. PatientInnen und MitarbeiterInnen wurden in dem von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderten Projekt zu ihren Erfahrungen befragt. Die subjektiven Erinnerungen, zu Monologen verdichtet, vermitteln einzigartige Einblicke in den Alltag der Psychiatrie in der DDR.“

(Verlagsankündigung)


Sonntag 18. März, 11 bis 13 Uhr

Zwischen Genie & Wahnsinn. Dichter und Denker in Leipzig
Psychiatriegeschichtlicher Stadtrundgang mit Thomas R. Müller, Leiter des Sächsischen Psychiatriemuseums

Treffpunkt: Eingang Naturkundemuseum, Lortzingstr. 3, 04105 Leipzig

Teilnahme: 7 €

Veranstalter: Verlag Bussert & Stadeler, Sächsisches Psychiatriemuseum

Der Psychiatriegeschichtliche Stadtrundgang führt zu Orten in der Leipzig City, an denen Künstler und Autoren gewirkt haben, die in ihrem Leben von psychischen Krisen betroffen waren. Erinnert wird u.a. an die Lebensgeschichten von Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Christian Dietrich Grabbe (1801-1836), Karl May (1842-1912), Friedrich Nietzsche (1844-1900) und an den Nervenarzt Paul Möbius (1853-1907).


Museumsnacht 2012

5. Mai 2012 in Leipzig und Halle

Motto der Museumsnacht: „Nachtaktiv“


Gern veröffentlichen wir an dieser Stelle auch Ihre psychiatriegeschichtlichen Veranstaltungen und Termine.

Der nächste Newsletter erscheint Februar/März 2012.

5. Ihre Unterstützung

Da unser Projekt über keine dauerhafte Finanzierung verfügt, benötigen wir Ihre Unterstützung. Jede Spende hilft uns. Auf Wunsch stellen wir Ihnen gern eine Spendenquittung aus.

Spendenkonto:
Konto-Nr.. 3 52 14 02
BLZ: 860 205 00
Bank für Sozialwirtschaft
Stichwort: Psychiatriemuseum

6. Abonnement und Kontakt

Um den Newsletter abzubestellen oder mit uns Kontakt aufzunehmen, schicken Sie uns bitte eine Mail:

7. Impressum

Herausgeber:Sächsisches Psychiatriemuseum
des Vereins Durchblick e.V.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Thomas R. Müller

Redaktionsschluss: 20.12.2011

www.psychiatriemuseum.de
www.durchblick-ev.de

© Sächsisches Psychiatriemuseum Mainzer Straße 7  04109 Leipzig

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