Ausstellung IRR-SINN

Einblicke in die Sächsische Psychiatriegeschichte

Wie erging es jemandem, der in der Vergangenheit von seiner Umgebung als verrückt, geisteskrank oder einfach nur seltsam angesehen wurde. Wo und mit welchen Methoden wurden psychisch kranke und sozial unangepaßte Menschen verwahrt und behandelt?

Unsere Ausstellung schildert Lebensgeschichten bekannter sächsischer Psychiatriepatienten und verfolgt die Entwicklung psychiatrischer Einrichtungen. Originale Objekte und Materialien geben einen authentischen Einblick in den Alltag der Psychiatrie. Zu sehen sind u.a. Zwangsmittel, Einrichtungsgegenstände, Fotos und Dokumente aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

SONDERAUSSTELLUNG SCHICKSALE KARRIEREN INSTITUTIONEN PSYCHIATRIE IN DER DDR

SCHICKSALE – Sächsische Psychiatriepatienten

„Woyzeck!
Er kommt ins Narrenhaus.
Er hat eine schöne fixe Idee.“

Johann Christian Woyzeck (1780–1824)

Berühmtheit erlangt das Schicksal Woyzecks durch das gleichnamige Drama von Georg Büchner (1813–1837). Doch auch schon bei den Zeitgenossen erregt der Fall große Aufmerksamkeit. Nach jahrelangem juristischen und medizinischen Streit um die Bewertung der Zurechnungsfähigkeit des wegen Mordes Angeklagten wird Woyzeck 1824 auf dem Leipziger Markt hingerichtet.

Schreber

„Hat den lebhaften Wunsch, die Anstalt zu verlassen“

Daniel Paul Schreber (1842–1911)

1903 veröffentlicht der ehemalige Gerichts-präsident und gerade entlassene Psychiatrie-patient Daniel Paul Schreber seine Memoiren „Denkwürdigkeiten eines Nerven-kranken“. In dem Buchbeschreibt Schreber sein von der Außenwelt als „Wahnsystem“ definiertes Erleben und setzt sich gegen die Stig-mati-sierung durch Psychiatrie und Gesellschaft zur Wehr. Schreber gilt heute als der berühm-teste und meistzitierte Psychiatriepatient.

Flugobjekt

Erfinder, Künstler, Psychiatriepatient

Karl Hans Janke (1909–1988)

Fast vierzig Jahre lebt Karl Hans Janke als Patient in der Nervenklinik Hubertusburg. Während dieses Aufenthalts erfindet Janke Flugobjekte, Fahrzeuge und Instrumente. Tausende seiner faszinierenden Zeichnungen und Entwürfe sowie ein umfangreicher Schriftwechsel sind erhalten geblieben.

Lene Voigt

„Wir armen Irren“

Die Dichterin Lene Voigt (1891–1962)

Zum Markenzeichen der Lene Voigt wurden ihre „Säk’schen Glassiger“. Die mit Herz und Humor in sächsischem Dialekt verfassten Nachdichtungen klassischer Literatur erfreuen sich bis heute einer großen Beliebtheit. Doch zur Biographie der „Säk’schen Lorelei“ gehören auch Tragik und Angst. Ihre letzten Lebens-jahre verbringt Lene Voigt in Leipzig in der Psychiatrie.

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SONDERAUSSTELLUNG SCHICKSALE KARRIEREN INSTITUTIONEN PSYCHIATRIE IN DER DDR

KARRIEREN – Sächsische Psychiater

„mitten unter meinen unglücklichen
irren Brüdern und Schwestern“

Christian August Fürchtegott Hayner (1775–1837)

Christian August Fürchtegott Hayner ist einer der einfluss­reichsten Protagonisten der säch­sischen Irren­reform zu Beginn des 19. Jahr­hunderts. Von den Ideen der Aufklä­rung inspiriert, engagiert sich Hayner als Arzt in der Landes­anstalt Wald­heim für eine humanere Behandlung der „Geisteskranken“.

Vom Reformpsychiater
zum Haupttäter der „Euthanasie“

Hermann Paul Nitsche (1876–1948)

Die Karriere des Psychiaters Hermann Paul Nitsche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist einzig-artig und zugleich symptomatisch für einen ärztlichen Tabubruch. Im vermeintlichen Interesse des „Volks-ganzen“ beteiligen sich Ärzte wie Nitsche im Nationalsoziali-mus an der systematischen Tötung ihnen anvertrauter Menschen.

Euthanasie-Prozess

Dresdener Euthanasie-Prozess, 1947

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SONDERAUSSTELLUNG SCHICKSALE KARRIEREN INSTITUTIONEN PSYCHIATRIE IN DER DDR

INSTITUTIONEN – Hospitäler, Irrenhäuser
und Anstalten in Sachsen

„Wenn man mit jemandem nicht wusste wohin, dann musste St. Georg herhalten“.

Das Georgenhospital in Leipzig

Seit seiner Gründung im 13. Jahrhundert werden mehr als sechs Jahrhunderte lang Menschen, die aufgrund ihres Verhaltens als „Narren“, „Irre“ oder „Geistes-kranke“ gelten, im Hospital St. Georg beherbergt oder inter-niert. Das Hospital spiegelt mit seiner sich wandelnden Funktion vom Kranken-haus zum Zuchthaus die jeweilige Haltung der Gesell-schaft gegenüber den Randgruppen wider.
 

„Von der Reformeinrichtung
zur Tötungsanstalt“

Pirna-Sonnenstein

Die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein

Der Sonnenstein verkörpert wie kein anderer Ort in Sachsen die zwei Gesichter der Psychi-trie. Als eine Musteranstalt für die humane Behand-lung der „Geistes-kranken“ Anfang des 19. Jahrhunderts gegründet, werden nur hundert Jahre später Tau-sende Betroffene ermordet, an ein und demselben Ort.

„Eine Stätte der Zuflucht und Ruhe am Rande der Großstadt“.

Die private „Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Thonberg“

Die Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Thonberg in Leipzig stellt im 19. Jahrhundert eine exklu­sive Alternative zu den öffentlichen Anstalten dar. Zahlungskräftige Patienten werden in der von Eduard Güntz gegrün­deten Privatanstalt in einer gediegenen Atmosphäre nach dem Prinzip der „Behü­tung, Herstellung und Pflege der An­ver­trau­ten auf die sanfteste Weise“ behandelt.
 
 

„Ab nach Dösen“

Doesen

Die Heilanstalt Leipzig-Dösen 1901–1945

1901 übernimmt die Heilanstalt Dösen weit-gehend die psychiatrische Versorgung in Leipzig. Das „Offen-Tür-System“ und der therapeutische Optimismus geben Anlass zur Hoff-nung auf eine Verbesserung der Behandlung der Betroffenen. Doch unter dem politi-schen und wirtschaftlichen Druck von Staat und Gesell-schaft richtet sich die Psychia-rie zunehmend gegen ihre Patienten. Auch viele Dösener Patienten werden Opfer der natio-nal-sozia-listi-schen „Euthanasie“.

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Psychiatrie in der DDR

Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychiatrie in der DDR 1945- 1993

Texttafel

Unser Anliegen

Als Museum im Osten Deutschlands fühlen wir uns der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Psychiatrie in der DDR in besonderer Weise verpflichtet. Mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur konnten wir diesen Ausstellungsbereich erarbeiten.  
Eine wichtige Grundlage bildeten Zeitzeugeninterviews, die wir mit Menschen geführt haben, die die Psychiatrie in der DDR selbst erlebt haben: als Patienten, aber auch als Mitarbeiter und Angehörige.
Die Auswertung dieser Erinnerungen  machte deutlich, dass es  d i e  Psychiatrie in der DDR nicht gegeben hat. Zu unterschiedlich waren die Erfahrungen jedes Einzelnen.
Auffallend war, dass sich viele Zeitzeugen in dem nach 1989/90 verbreiteten Bild von der DDR-Psychiatrie nicht wiederfanden. Die einen lehnten die gängige Betonung der repressiven Seite der Psychiatrie ab. Andere wiederum kritisierten die vermeintliche Verharmlosung der Zustände in der Psychiatrie und der politischen Einflussnahme.

In unserer Ausstellung versuchen wir daher ein möglichst vielschichtiges und differenziertes Bild zu liefern.

Netzbehandlung

Doesen

Netze waren bis in die siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in Gebrauch

Die Netzbehandlung wurde um 1900 in der Psychiatrie eingeführt. Netze, wie das in unserer Ausstellung Gezeigte, waren bis in die 70er Jahre in Gebrauch. Mit der Netzbehandlung glaubte man auf Isolierräume verzichten zu können. Doch in der Praxis wurden die Netze häufig als Disziplinierungsmittel eingesetzt. Auf dem Monitor oberhalb des Bettes zeigen wir einen Ausschnitt aus einem Lehrfilm, der in den 1980er Jahren an der Universität Leipzig produziert wurde. In dem Filmausschnitt ist zu sehen, wie die Patienten in das Netz gebunden wurden. Im Anschluss kommen Patienten und Personal zu Wort, die die Anlässe für diese Behandlungsmethode schildern und kritisch hinterfragen.

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